Einweihung der Gedenktafel für Joseph Plaut am Detmolder Landestheater am 11. April 2023

Rede von Gudrun Mitschke-Buchholz

 

Vielleicht kennen Sie das: Auf einer Reise im In- oder auch im Ausland wird man gefragt, wo man denn herkomme. Es kann passieren, dass dann völlig fremde Menschen anfangen zu singen oder zumindest den Text aufzusagen: „Lippe Detmold, eine wunderschöne Stadt“. Auch mit der etwas verrutschten Betonung von wunderschön. Wer aber wusste oder weiß, dass Joseph Plaut aus Detmold, der Wunderschönen, wohl der bekannteste, erfolgreichste und zugleich am stärksten angefeindete Interpret der sogenannten Detmold-Hymne war?

Meistens ist über Joseph Plaut Anekdotisches zu hören, heitere Geschichten und Schmonzes. Die Familie Plaut ist heute fester Bestandteil der Detmolder Erinnerungskultur und auch die nun eingeweihte Gedenktafel bildet hierzu einen weiteren Mosaikstein. Auf dem hiesigen Friedhof finden wir für zwei bzw. drei Familienmitglieder ihre Gräber. Für Siegfried Plaut, Josephs Bruder, gibt es, wie es dann so heißt, nur „ein Grab in den Lüften“.

Joseph Plaut war Jude. Für ihn selbst spielte dies keine große Rolle, wie für so viele jüdische Detmolder Bürgerinnen und Bürger, die sich vor allem als deutsche Staatsbürger manchmal mit dem Zusatz ‚jüdischen Glaubens‘ verstanden. Von Kurt Tucholsky stammt die Verballhornung „deutscher Staatsjude bürgerlichen Glaubens“ und wahrscheinlich gefiel diese Formulierung auch Joseph Plaut, der Sinn für derlei Humor hatte, und sich selbst bisweilen als „schwarzes Schaf unter den sieben Kindern eines Rabbiners“ bezeichnete. Sein Vater Abraham war als Lehrer und Schulinspektor dem jüdischen Glauben ebenso verbunden wie sein Bruder Siegfried, der ebenfalls als Lehrer an jüdischen Einrichtungen tätig war.

Joseph Plaut hingegen wählte zunächst den Beruf des Kaufmanns und diente als Einjährig-Freiwilliger in der Preußischen Armee, und auch im Ersten Weltkrieg war er Soldat. Noch war eine jüdische Herkunft kein Grund zum Ausschluss. Bereits bei seinen ersten Kriegsdiensten stellte Plaut als Truppenunterhalter sein komisches Talent unter Beweis. Hier wird aber auch ein Prinzip deutlich, das sich nachhaltig durch sein Leben ziehen sollte: Joseph Plaut war auch angesichts dramatischer Zeitläufte zu einer Distanzierung vom Geschehen durch Komik, Parodien, Plaudereien und launige Antworten in der Lage.

Plaut nahm ein Gesangsstudium in Berlin auf; seine Karriere als Opernsänger begann 1902, wobei ihm die Rolle des Buffo auf den Leib geschrieben schien. Zunächst arbeitete er an kleinen Häusern in kleinen Städten, später – bis 1914 – am Deutschen Opernhaus und am Hebbeltheater in Berlin, jener Stadt, die zumindest eine Zeitlang sein Zuhause werden sollte.
Aber Joseph Plaut war nicht nur Sänger, sondern reüssierte als Schauspieler und vor allem als Vortragskünstler. Reichsweit wurde er bekannt mit munteren Plaudereien und Programmen, die er zum Teil mit seiner nichtjüdischen Frau Maria Schneider einem begeisterten Publikum präsentierte. Seine vom Elternhaus befürchtete Entscheidung für eine brotlose Kunst brachte ihm das Gegenteil ein: Erfolg, Wohlstand, Rampenlicht und ein Leben auf der Bühne. Aber auch der Rundfunk und Schallplatten waren entscheidende Medien für Plaut und erweiterten erheblich seinen Radius.

Im Repertoire des berühmten Vortragskünstlers fand sich das weit über Lippe hinaus bekannte Spottlied auf den „Lippischen Schützen“. Plaut (selbst Lipper) machte sich in seinem Programm in seiner typischen Distanzierung über die Lipper lustig, lachte über das Militär und veralberte die Lipper im Krieg. Doch was ihm lange nachgesehen wurde und worüber zumindest manche Lipper selbstironisch lachen konnten, geriet in den Zeiten des immer öfter unverhohlen und verschärft demonstrierten Antisemitismus der Weimarer Republik ins Visier der erstarkenden Nationalsozialisten. Aus dem Vortragskünstler Plaut wurde der „Jude Plaut“, der 1935 im Sinne der Nürnberger Rassegesetze zum sogenannten Volljuden erklärt werden sollte. Dass ausgerechnet „der Jude“ diese lippische, deutsche Hymne vortrug, wurde zum politischen Skandal. Vor allem die nationalsozialistischen Kräfte fühlten sich verhöhnt und verunglimpft. Für sie war es nicht auszudenken, dass in einer deutschen Kulturstätte, die in ihrem Verständnis nur deutschen („arischen“) Kulturschaffenden vorbehalten sein sollte, ausgerechnet ein jüdischer Künstler die Lipper in den vermeintlichen Dreck zog.

Im Januar 1932 war die NSDAP mit knapp einem Drittel der Wählerstimmen in die Detmolder Stadtverordnetenversammlung eingezogen. Drei Monate später sorgten zwanzig Nationalsozialisten bei einem Auftritt Plauts hier im Theater für die Demonstration des neuen Tons „der neuen Zeit“. Sie pöbelten, grölten das Horst-Wessel-Lied und warfen Stinkbomben. Völlig unverhohlen, dreist, widerwärtig machten sie sehr deutlich, was ihren Gegnern künftig – mindestens – entgegenschlug. Es war ein antisemitischer Übergriff im öffentlichen Raum, auf offener Bühne im April 1932 – und damit ein Dreivierteljahr vor der Machtübernahme durch Adolf Hitler. Es waren nicht nur einzelne, die man als ungefährliche, verirrte Randalierer hätte abtun können. Als diese polizeilich aufgefordert wurden, das Theater zu verlassen, forderten manche von ihnen das Eintrittsgeld zurück.

Die Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung zeigten sich angesichts der Tat entsetzt. Trotzdem fand ein Antrag, Plaut aufzufordern, die Lieder „Lippe Detmold“ und den „Lippischen Schützen“ aus seinem Programm zu streichen, eine Mehrheit, da er sie verächtlich machend vortrage. Der sogenannte Theaterskandal, an den nun diese Gedenktafel mahnend erinnert, ging durch die Zeitungen und verursachte eine Presseschlacht - und endete mit einem Strafverfahren. Noch funktionierte die lippische Justiz. Die Täter, unter ihnen z. B. Fritz Grüttemeyer, der durch seine Tatbeteiligung am Mord an Felix Fechenbach bekannt ist, wurden zu einer Geldstrafe verurteilt.

Der NS-Staat entledigte sich bald der jüdischen Kulturschaffenden. Der einst gefeierte Künstler Plaut erhielt Berufsverbot und wurde in der Folge des sogenannten Dritten Reiches aus der Reichsmusikkammer ausgeschlossen. Hier in der Stadt und auch im Theater manifestierte sich die „Machteroberung“ im öffentlichen und auch kulturellen Leben. Ab 1935 fanden hier im Hause die Wagner-Festwochen statt, die Detmold zum „Vorort Bayreuths“ machen sollten. Offiziell als „reichswichtig“ deklariert, waren diese Festwochen Großereignisse, wie sie die Stadt bis dahin nicht erlebt hatte. Die Einbeziehung von Gauleitung und Partei zahlte sich in den Folgejahren für die „Festwochen“ auch finanziell aus. Gastengagements renommierter Künstlerinnen und Künstler waren ebenso möglich wie die Vergrößerung des Orchestergrabens, da das Theater für Wagner eigentlich zu klein war.

Doch zurück zu Joseph Plaut: Wer konnte, verließ dieses Land. Joseph Plaut und auch seine hoch betagte Mutter und sein Bruder Manfred wurden 1936 ins Exil getrieben. Auch seine Schwester Ella flüchtete, nachdem sie als Mitarbeiterin der Post zwangsweise in den Ruhestand versetzt worden. Allein Siegfried und dessen Frau blieben. Zum Glück hatten die Plauts mit den Schwestern Mali (seit 1923 in Afrika) und Toni, die bereits einige Jahre in Südafrika lebten, einen Anlaufpunkt, einen Ort, an dem sie überleben konnten – und dies in vergleichsweise guten Bedingungen. Diese erlaubte ihnen auch, andere lippische jüdische Flüchtlinge zu unterstützen. Doch was macht ein Künstler, der allenfalls rudimentär Englisch sprach und so sehr mit der deutschen Sprache und der deutschen, lippischen Mentalität verbunden war? Plauts Plaudereien und Lieder „funktionieren“ nicht in englischer Übersetzung weitab der vermeintlichen Heimat, im Ausland. Einige wenige Engagements waren nicht genug, und so verließ Joseph Plaut sein erstes Exil und ging 1937 nach England. Trotz aller massiver Probleme für die Flüchtlinge, die niemand wollte und schon gar nicht auf dem Arbeitsmarkt, gelang es Plaut, zumindest in Ansätzen, als Künstler und Lehrer zu arbeiten. Doch zehn Monate wurde er als „Feindlicher Ausländer“ auf der Isle of Men interniert. Und trotz aller Schwierigkeiten gelang es Plaut später, dank seines starken Willens und seiner Durchsetzungskraft für die BBC zu arbeiten. Trotz allem launige Briefe an die Familie in Afrika sind ein weiteres beredtes Zeugnis seines Naturells.

Joseph Plauts Sehnsucht gehörte Deutschland. Er wollte so bald wie möglich zurück und tat dies auch, als das Tausendjährige Reich ein Ende hatte. 1949 kehrte er nach Deutschland und später auch in seine Heimatstadt zurück. Vor allem seine Schwester Ella machte deutlich, dass sie diese Rückkehr kein Verständnis hatte. Auf wen traf Plaut hier und welche Lücken hatten Verfolgung und Gegenmenschlichkeit gerissen? Welche Verluste hatten auch ihn getroffen? Sein Bruder Siegfried und auch seine Schwägerin Martha waren 1942 in Theresienstadt um ihr Leben gebracht worden.

Plaut fädelte sich wieder ein in das „neue“ deutsche, entnazifizierte Kulturleben. Auch hier im Landestheater konnte er anknüpfen. Er traf wiederum auf Otto Will-Rasing, Parteimitglied seit 1939 und Kulturreferent der SA, der von 1934 bis 1944 hier am Hause systemkonform Intendant war. Dessen NS-Vergangenheit stand offenbar nicht zwischen ihnen.

Joseph Plaut wurde immer wieder in seiner Nachkriegskarriere von Journalisten gefragt, wie er mit seiner eigenen Verfolgung, der gebrochenen, versehrten Familienbiografie, dem Exil und den Verlusten umgehe. Aus unserer Perspektive ist Joseph Plauts Haltung nur schwer nachzuvollziehen - und sie uns zu eigen zu machen, wäre weitaus mehr als eine fahrlässige Bequemlichkeit. Eine Verurteilung steht uns, um dies ganz deutlich zu sagen, nicht zu. Seine Antwort lautete: „Schwamm drüber“. Die extreme Verdrängungsleistung vieler dieser Betroffenen ist für uns als Phänomen, als eine von vielen möglichen Überlebensstrategien zu konstatieren. Plaut arbeitete weiter, liebte weiter die Bühne und den Auftritt. Hier in Detmold kannte ihn viele als liebenswürdigen Künstler, auch im Alter. Am 25. November 1966 starb Joseph Plaut mit 87 Jahren. Auf dem Grabstein für „Professor Plaut“ dokumentiert sich ein letztes Mal seine lebensbegleitende Haltung. Dort ist zu lesen: „Und doch, wär’s in die Wahl mir gegeben, ich führte noch einmal dasselbe Leben.“

Joseph Plaut erlebte die ebenso unzureichend wie falsch bezeichnete „Aufarbeitung“ der NS-Verbrechen, die zwei Jahre nach seinem Tod mit den sogenannten 68ern maßgeblich begann, nicht mehr. Er erlebte auch nicht, dass sich seine Heimatstadt Detmold der verantwortungsvollen Aufklärung und Dokumentation der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft seit Jahren verschreibt und damit anerkennt, dass Detmold für viel zu viele alles andere als wunderschön war. Das Landestheater Detmold stellt sich nun ein weiteres Mal der Geschichte und dokumentiert öffentlich, dass auch das Theater ein Ort eines antisemitischen Übergriffs war. Das Theater stellt sich damit öffentlich sichtbar auf die Seite des jüdischen Künstlers Joseph Plaut.

Ein hochkomplexes Spannungsfeld – auch im kulturellen Sinne – wird hier in Detmold mit der Gedenktafel einmal mehr als augenfällig. Denn schräg gegenüber dieser Tafel, die nun an den jüdischen Künstler Plaut und den Übergriff auf ihn erinnert, befindet sich eine Büste des Antisemiten Richard Wagner. 1941 war diese vor dem Eingangsportal des Theaters im Rahmen der Westwochen aufgestellt worden und blieb dort bis zum Ende des Krieges. Heute finden wir sie – gleichsam antipodisch - im Garten des „Prinzessinnen-Hauses“, in dem zeitweilig die HJ residierte.

Die Familie Plaut ist Teil der öffentlichen Erinnerung. Bislang finden wir den ermordeten Siegfried Plaut auf der Gedenktafel und auch im Detmolder Gedenkbuch. Joseph Plaut hingegen lebt noch in der persönlichen Erinnerung so mancher alter Detmolder weiter und erfährt heute auch durch diese Gedenktafel Ehrung, Respekt und Hochachtung.

 

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